Das Brautstrauß-Dilemma

Sabina Haas

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09.11.2018

Hochzeit, Karriere und andere Schwierigkeiten.

Hochzeiten bieten immer wieder Gelegenheit für vielfältige Beobachtungen und interessante Erkenntnisse – besonders hinsichtlich den Parallelen zur Karriereplanung von Frauen. Von langer Hand mit viel Aufwand geplant und vorbereitet, mit höchsten Erwartungen und besten Absichten begangen, lassen es viele Paare sich selbst und Ihren Gästen an nichts fehlen. Mehr oder weniger traditionelles Brauchtum kommt zum Einsatz: meiner subjektiven Einschätzung nach sind Braut-Entführungen out, aber Brautstrauß-Werfen wird immer noch gerne praktiziert. Was da – besonders im Zusammenhang mit Hochzeiten im Milieu der emanzipierten, gut ausgebildeten berufstätigen Frauen – mit dem Brautstrauß abläuft, hat mich in den letzten Jahren immer wieder mal stutzig gemacht: Die objektiv jungen Damen und die sonstigen unverheirateten weiblichen Gäste werden oftmals unter Protest zusammen getrieben und nehmen widerwillig Aufstellung. Einige der Auserwählten verschränken demonstrativ die Arme am Rücken, als hätten sie etwas Schlimmes zu verbergen.

Der Stress mit dem Brautstrauß

Der Brautstrauß fliegt durch die Luft – im letzten Moment erbarmt sich dann doch noch eine aus der Runde und fängt das früher so begehrte Symbol, die vermeintlich nächste vor dem Traualtar zu sein. Die anderen Damen demonstrieren dann ihre Erleichterung mit schüttelnden Köpfen, dass dieser Kelch wieder mal an ihnen vorüber gegangen ist. Mich beschleichen gelegentlich leise Zweifel ob der Authentizität der zur Schau gestellten Erleichterung. Und erst bei der kürzlich besuchten Hochzeit in meiner erweiterten Verwandtschaft fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich erkenne Parallelen zu meinem Beratungsalltag im Bereich der Vereinbarkeitsthemen bei Frauenkarrieren und Wiedereinsteigerinnen sowie vielen Fragen und Problemen, die sich aus der diffusen Rollenunklarheit von modernen Frauenkarrieren und Familienbildern ergibt. Wir haben immer noch keine funktionierenden weiblichen Rollenvorbilder einer modernen, selbstbestimmten Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Und besonders im Bereich der gut ausgebildeten, ambitionierten Frauen gestaltet sich der Spagat immer noch sehr stressig. Karriere, Kinder, Partnerschaft, ambitionierte Pläne und ernüchternde Realität bereiten den Frauen einen sehr anstrengenden Lebensstil.

Reißbretter und fehlende Rollenvorbilder

Oft nimmt man sich einen bestimmten Umgang mit der Situation der Familienplanung vor: den Zeitpunkt der Mutterschaft karrieretechnisch am Reißbrett geplant, Halbe-Halbe, rascher Wiedereinstieg, gute Organisation und ein pragmatischer Zugang zu den Herausforderungen. Die Realität holt die Frauen oft ein: und damit meine ich nicht nur die faktischen Gegebenheiten wie Kindergartenöffnungszeiten und Karrieremöglichkeiten in Teilzeit, sondern auch ihre eigenen Befindlichkeiten: das Bedürfnis mehr Zeit für die Kinder zu haben, die bewusste und unbewusste Angst davor, eine Rabenmutter zu sein und vor allem als solche wahrgenommen und angefeindet zu werden. Hin und her-gerissen zwischen dem Wunsch nach einem modernen Rollenbild unter dem Titel „Wozu habe ich studiert?“ und den tradierten Modellen von früheren Generationen reiben sich die Frauen auf: Stress, schlechtes Gewissen, Überanstrengung, Perfektionsanspruch und Unstimmigkeiten in der Partnerschaft sind ein giftiger Cocktail. Körperlich top fit, super gestylt und die Erfolgsfamilie wie aus dem Bilderbuch: uns Frauen im 21. Jahrhundert braucht wirklich keine Firma auszubeuten, dafür sorgen wir schon selbst!

und wozu habe ich studiert?

Als Mutti in den 1950er Jahren noch zu Hause gekocht hat, musste sie sich viele Fragen nicht stellen. Die Vielfalt der Möglichkeiten und die Komplexität unseres heutigen Lebens bescheren uns nicht nur mehr Freiheiten sondern im Gegenzug auch mehr Entscheidungsstress und Orientierungsprobleme In meinen Augen manifestiert sich dieses Dilemma auch an der Situation mit dem Brautstrauß: Der Wunsch nach einem ganz romantischen Heiratsantrag und das selbstverständliche Bedürfnis nach einem selbstbewussten, emanzipierten, modernen Rollenbild, Familien- und Berufsleben! Wer das für sich gut zusammen bringt, seine wirklichen inneren Bedürfnisse gut wahrnehmen kann und gut für sich selbst sorgen kann, wer authentisch sein individuell funktionierendes Rollenmodell entwickeln kann und sich so weit wie möglich von limitierenden Glaubenssystemen frei machen kann, der ist ein großes Stück weiter auf dem Weg zu einem individuell funktionierenden erfolgreichen Vereinbarkeitsmodell.   Quelle Foto privat.